Nachdem ich neulich Liv Strömquists Comic „I’m every woman“ wieder hervorgeholt hatte, hab ich mir umgehend die schwedische Originalausgabe ihres neuen Buchs „Im Spiegelsaal“ bestellt. Auf Deutsch erscheint es jetzt im Oktober 2021 im Avant-Verlag. Auch diesmal geht es vor allem um Frauen (aber nicht nur), sehr viel um Philosophie und um unseren Umgang mit Schönheit und Vergänglichkeit.
Das Beitragsbild zeigt einen liegenden weiblichen Akt vor einem Spiegel, um 1855 (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, CC0).

Worum geht’s?
Liv Strömquist stellt „Im Spiegelsaal“ Frauen vor, deren Leben stark von ihrem Aussehen beeinflusst wurde. Darunter befinden sich real existierende Frauen, historische Persönlichkeiten oder Figuren aus Geschichten: Kylie Jenner, Kaiserin Sissi, Rachel und Lea aus dem ersten Buch Mose, Karl der Große und seine Frauen, Marilyn Monroe, Kim Kardashian, Schneewittchens Mutter, George Eliot und sogar Nofretete sind darunter. Immer geht es um Schönheit und wie sie unser Leben beeinflusst. Welche Schönheit die Gesellschaft von uns erwartet. Wie unsere Gesellschaft Schönheit belohnt (oder bestraft). Welche (Verlust-)Ängste und Gefahren Schönheit mit sich bringen kann. Wie vergänglich sie ist. Und gäbe es Schönheit überhaupt, wenn sie nicht irgendwann vergehen würde?
Philosophie der Schönheit
Liv Strömquists Buch ist in fünf Kapitel unterteilt, die das gleiche Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Jeweils werden Philosophinnen und Philosophen zitiert, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Manchmal wird die Autorin hier trotz der Comic-Form sehr ausführlich und tiefgründig, sodass „Im Spiegelsaal“ kaum als leichte Abendlektüre zählen kann, sondern gewichtige Fragen und große Gedankengänge anreißt.

Ausgehend von über 2000 Jahren Geschichte kehrt Liv Strömquist immer wieder ins Jetzt zurück und hält uns quasi den Spiegel vor. Noch nie zuvor in der Geschichte habe Schönheit so viel bedeutet wie jetzt: „Vor saulanger Zeit“ musste Frau nicht unbedingt schön sein, um versorgt (bzw. verheiratet) zu werden. „Vor nicht SO langer Zeit (1940er)“ musste FRAU schön sein, um jemanden zu heiraten, aber hinterher nicht mehr. „Nach der sexuellen Revolution und dem Aufblühen der Konsumgesellschaft“ musste Frau auf dem freien Liebesmarkt schön sein, um Sex und Liebe zu bekommen. „Und nun haben wir dieses Stadium erreicht: Spätkapitalismus:“ Frau muss schön sein, selbst wenn sie keine Liebe/Partnerschaft will, weil Schönheit den eigenen Status und Wert signalisiert. Deswegen trainieren wir, halten Diät und posten hübsche Selfies.

Durch die Flut von Bildern schöner Frauen, die seit Aufkommen der ersten Fotografien (zum Beispiel die Aktfotografie auf dem Beitragsbild) auf uns einströmt, habe dazu geführt, dass das Ideal einer schönen Frau immer stromlinienförmiger geworden ist. Und schöne Eigenschaften, die man nicht auf Fotos bannen kann (sexy Stimme, eleganter Gang, mitreißendes Lachen), rücken aus dem Fokus.

Aber wie schließen wir Frieden mit der unumgänglichen Wahrheit, dass Schönheit nicht von Dauer ist? Wie schaffen wir es, neben all dem Bemühen um unser (analog und besonders auch digital) permanent nach außen präsentiertes Image, unser Leben nicht zu verpassen? Wie schaffen wir es, selbstbewusst zu altern?
„Im Spiegelsaal“ regt zum Nachdenken an – über den eigenen Umgang mit sozialen Netzwerken, über die tägliche Inszenierung des eigenen Aussehens im Alltag (Make-up? Haare färben? Beine rasieren?). Und nicht zuletzt über den eigenen Umgang mit den ersten grauen Haaren und kleinen Fältchen.
Für mich ist Schönheit altersunabhängig und hat extrem viel mit Ausstrahlung zu tun, die ihrerseits wiederum stark von der jeweiligen Persönlichkeit abhängt.
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Ich finde, das ist ein sehr guter Punkt! In dem Moment aber, wo man sich schämt für erste Falten oder erste weiße Haare, verliert man ein bisschen dieser tollen Ausstrahlung. Die kommt meistens, wenn man mit sich zufrieden ist. Deswegen sollten wir uns alle richtig viel Selbstbewusstsein zulegen 🙂
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Das ist wahr! 🤗❤
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