„Frauen sind Menschen“ – eigentlich selbstverständlich, oder? Vielleicht auch nicht. Jedenfalls lautet so der Untertitel des Buchs „WOMANoid“* des Paar- und Sexualtherapeuten Eilert Bartels‚, das 2021 im Böhland & Schremmer Verlag Berlin erschienen ist. Es gehört untrennbar zusammen mit Eilert Bartels‘ 2019 veröffentlichtem Buch „huMANNoid | Männer sind Menschen“, das ich hier rezensiert habe.
Damals nach dem Lesen des „Männerbuchs“ blieb ich mit dem Gefühl zurück, dass da noch etwas fehlt – nämlich die weibliche Sicht. „Dann wäre überdeutlich geworden, wie ähnlich wir uns alle sind in unserem Denken, unseren Ängsten, Freuden und unseren Erfahrungen“, habe ich geschrieben. Tatsächlich hat Eilert Bartels diese Lücke in den darauffolgenden Jahren mit dem Buch „WOMANoid“ geschlossen.
Das Buch ist genauso konzipiert wie das erste. Das Setting ist das gleiche, die Fragen an die Menschen auch. Und siehe da: Wir Männer und Frauen unterscheiden uns doch gar nicht so sehr voneinander wie uns die Gesellschaft manchmal (noch) glauben lassen will.

Eilert Bartels
WOMANoid | Frauen sind Menschen
28 x 20 cm Klappenbroschur
352 Seiten
ca. 160 Fotografien
39,95 € [D]
ISBN 978-3-943622-54-6
Worum geht’s?
Aber mal von vorn: Für das Buch interviewte Eilert Bartels 16 Frauen zwischen 19 und 73 Jahren – von der Akademikerin über die Künstlerin bis zur Handwerkerin. Zuvor gab es ein Fotoshooting – nackt, ungeschminkt, ohne Photoshop. Hinterher ein Interview, das jede Frau mit den gleichen Fragen konfrontierte, die nichts mit den üblichen Dingen zu tun haben, über die wir in unserer Gesellschaft einen Menschen einordnen. Beruf, Familienstand, Karriere, Wohnort … das alles spielte dabei keine Rolle. Stattdessen ging es um Körperwahrnehmung, zwischenmenschliche Beziehungen und Sexualität, um Erfahrungen mit Vater und Mutter, um Gewalt, Wünsche und Träume. Dadurch entsteht ein ganz anderer Blick auf einen Menschen, der einerseits die Persönlichkeit hervorhebt, andererseits aber auch vorführt, wie sehr wir alle von den Erfahrungen geprägt worden sind, die das Leben uns beschert.
Eilert Bartels beschreibt in Einleitung und Epilog, die Bücher entstanden aus dem Gefühl heraus, dass die gesellschaftlich festgelegten Kategorien für „Mann“ und „Frau“ das Individuum einengen und begrenzen. Indem wir eine Rolle spielen, drängen wir einige unsere Eigenschaften in den Hintergrund. Im Nachwort plädiert er dafür, Räume zu schaffen, in dem sich diese Selbstbegrenzung auflösen kann und in denen wir einander wirklich zuhören. Mit seinen Büchern will er nicht in die seit Jahrzehnten geführte Geschlechterdebatte einsteigen, sondern daraus aussteigen. – Dieser Satz hat mich sofort angesprochen.
Wie war’s?
Die Fotos sind – genau wie im Buch „huMANNoid“ – erstmal ungewohnt. Normalerweise sehen wir auf Fotos selten ungeschminkte, unbearbeitete, große, kleine, dicke, dünne, faltige, glatte, narbige oder unversehrte Körper. Schon das zeigt wie ein ausgestreckter Zeigefinger auf die „normale“ Wahrnehmung menschlicher Körper, an die wir alle uns so sehr gewöhnt haben. Nicht umsonst hadern wir alle damit, weil die wenigsten von uns in dieses Bild passen. Und auch den fotografierten Frauen ging es letztlich so, wie der Autor in seinem Nachwort bedauernd hervorhebt.

Trotz des breit gefächerten Spektrums an Frauen, hatte ich wie auch bei „huMANNoid“ das Gefühl, dass sich die Projektteilnehmer trotzdem ähnelten. Das liegt sicher in der Natur der Sache: Um sich nackt fotografieren zu lassen und über persönlichste Erlebnisse öffentlich zu sprechen, muss sich ein Mensch eingehend mit sich selbst beschäftigt und ein gewisses Selbstvertrauen entwickelt haben. Ich wette, diesen Mut – und auch dieses Bedürfnis – hätten die meisten Menschen nicht.
Das Buch ist keine einfache Lektüre. Die meisten der interviewten Frauen blicken zwar positiv in ihre Zukunft und haben im Lauf ihres Lebens zu sich selbst gefunden. Trotzdem mussten viele von ihnen schwierige familiäre Verhältnisse meistern und sich ihren Weg erkämpfen.
Viele der persönlichen Erfahrungen, von denen die Frauen im Buch erzählen, kenne ich aus meinem eigenen Leben nicht. Manchmal erkenne ich mich aber auch wieder. Auf jeden Fall haben mich die Interviews sehr berührt. Ich konnte sie auch nicht alle hintereinanderweg lesen, sondern brauchte Pausen, um das Gelesene wirken zu lassen. Teilweise hab ich an meinen Träumen gemerkt, wie das Gelesene nachts im Gehirn verarbeitet wurde.
Was nehme ich mit?
Auch als Autorin hat für mich so ein tiefer Blick in die menschliche Wahrnehmung weitergebracht. Früher habe ich gezögert, eine Geschichte aus der Sicht eines männlichen Protagonisten zu erzählen. Denn: Kann ich mich als Frau da überhaupt angemessen hineinversetzen? Inzwischen denke ich: Warum nicht? Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die charakterlichen Unterschiede innerhalb eines Geschlechts – also wenn man Frauen mit Frauen und Männer mit Männern vergleicht – größer ausfallen, als wenn man Frauen mit Männern vergleicht. Die Schubladen und Klischees, die wir uns so gerne vorgaukeln, gibt es nicht. Viele Unterschiede sind anerzogen, nicht angeboren. Davon abgesehen, haben alle Menschen ähnliche Gefühle und sammeln ähnliche Erfahrungen – egal, ob Mann oder Frau.
Genauso geht es mir übrigens mit dem Alter. Kann ich mich gut in jemanden hineinversetzen, der sehr viel älter oder sehr viel jünger ist als ich? Auch da weiß ich inzwischen: Warum nicht? Wir verändern uns im Laufe unseres Lebens gar nicht so sehr, wie ich früher dachte. Wir werden weder automatisch weise noch werden wir starrsinnig. Es kommt vielmehr ganz auf unsere individuelle Persönlichkeit an, die in allen Lebensphasen durchscheint – wir bleiben uns treu. Vor allem das Aussehen, das für alle sichtbar auf unser Alter hindeutet, sorgt dafür, dass wir in Kategorien gesteckt werden. Dabei kann auch ein Teenager nachdenkliche, einsichtige und kluge Gedanken haben und ein älterer Mensch unreif und albern agieren.
Eilert Bartels Bücher erinnern mich daran, immer wieder hinter die „Fassade“ eines Menschen zu schauen. Wer steckt eigentlich hinter dem Alter, dem Geschlecht und dem gesellschaftlichem Status? Dadurch wird die Welt gleich vielfältiger.
*Für die Rezension hat mir der Autor ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Das Buch klingt echt sehr interessant und es ist ja auch einfach schön, unbearbeitete Fotos und echte Menschen zu sehen und über sie zu lesen!
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Es hat auf jeden Fall etwas sehr persönliches, es ist kein Fachbuch in dem Sinne, die einzelnen Menschen sprechen für sich— ist ein interessantes Buchkonzept, so nach dem Motto: einfach mal zuhören.
Viele liebe Grüße 🤗
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Klingt toll, das muss ich mir mal genauer anschauen 😉
Alles Liebe 🙂
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