Der Paar- und Sexualtherapeut Eilert Bartels hat 2019 das Buch „huMANNoid | Männer sind Menschen“ veröffentlicht, das mich sehr bewegt hat. Auffällig, dass man den Zusammenhang Mann = Mensch und Frau = Mensch anno 2020 noch betonen muss, nicht wahr? Aber ganz offensichtlich bleibt es notwendig. – Eine Buchvorstellung*.
Das Buch ist eine Interviewsammlung der besonderen Art. Insgesamt standen für das Projekt 16 Männer zwischen 26 und 75 Jahren nackt vor der Kamera und haben im Interview persönlichste Fragen beantwortet.

Die Fotos selbst sind schon einmal insofern ungewöhnlich, dass die Fotografierten keine Models sind und die Bilder nicht bearbeitet. An solche Bilder sind die meisten von uns nicht gewöhnt, weder bei Frauen- noch bei Männerkörpern – es sei denn, man geht hin und wieder in die Sauna oder zum Nacktbaden. Und obwohl ich eher zur letzteren Gruppe gehöre, musste ich mich erst einmal langsam an die vollflächig bedruckten Buchseiten mit den unbekannten Männern herantasten. Bezeichnenderweise habe ich sie zunächst abgedeckt und erst einmal gelesen. Je mehr ich gelesen habe, desto mehr entstand bei mir das Gefühl, die Person auf den Bildern kennenzulernen. Und ab einem bestimmten Punkt, fiel es mir dann auch nicht mehr schwer, mich auf die Bilder einzulassen und sie genauer zu betrachten.
„Plötzlich soll ich meinen Körper oder den Körper anderer Männer schön finden?“
– Zitat aus einem Interview in huMANNoid
In den Interviews ging es konsequent nicht um Job, Familienstand, Rollen und gesellschaftlichen Status aller Art. Vielmehr standen immer die gleichen psychologischen Fragen im Mittelpunkt: Was bereitet dir Freude, Trauer, Wut, Angst, Ekel, Lust? Letztere, die männliche Lust, auch zwischen Täter- und Opferrolle, spielte eine besondere Rolle. Das geht vermutlich auf die Prosession des Autors und auf einen der Anlässe zum Projekt zurück: die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015/16, die Männer (nicht zum ersten Mal) pauschal in eine Täterrolle drängten. In „huMANNoid“ wird auf beides eingegangen, indem Eilert Bartels seine Gesprächspartner zunächst fragt, ob sie selbst schon einmal psychische oder physische Gewalt erfahren haben. In diesem Moment beginnt man sich gemeinsam mit dem Interviewten mit der Materie zu beschäftigen und bemerkt, wie fließend hier die Grenzen sind zwischen dem, was als noch „normal“ und was bereits als übergriffig wahrgenommen wird. Durch diese Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen, fällt es dann leichter, im Interview auch darüber zu reflektieren, ob man selbst schon einmal übergriffig geworden ist. Ich persönlich habe mir mit jedem gelesenen Interview die Fragen auch selbst gestellt und kann es sehr empfehlen, sie einfach einmal an sich heran zu lassen.
Mich persönlich ärgert Ungerechtigkeit aller Art, die gegen Frauen, die gegen Männer, gegen Menschengruppen eben. Das fängt bei platten Witzen an, geht vorbei an groben Pauschalisierungen und hört bei spürbaren Benachteiligungen auf.
Inzwischen hat die Forschung meines Wissens gezeigt, dass es nicht das „typisch“ Weibliche bzw. Männliche gibt, sondern dass das Spektrum innerhalb der Geschlechter größer ist als zwischen den Geschlechtern. Es gibt also sowohl Frauen und Männer mit überwiegend männlich konnotierten Eigenschaften und Frauen und Männer mit überwiegend weiblich besetzten Charakterzügen. Das ist menschlich und vieles, was wir für „typisch das eine“ oder „typisch das andere“ ist von klein auf so erlernt.

Auch dieser Einfluss von Erziehung und Erfahrungen spielte in den Interviews eine große Rolle. Mit jedem Interview kamen auch neue Aspekte und Eindrücke hinzu. In Anbetracht von manchen Erlebnissen, die da geschildert wurden, begann ich mich immer dankbarer für mein eigenes Elternhaus und soziales Umfeld zu fühlen. Letztlich werden wir Menschen schließlich jahrelang durch unsere Umgebung geformt. Glücklicherweise verzichtete das Buch darauf, Männer pauschal in eine Opferrolle zu stellen, sondern verlangt dem Leser einfach einen genaueren, unvoreingenommenen Blick auf Menschen ab.
Obwohl das Spektrum der Interviewten sehr breit war, hatte ich trotzdem nicht das Gefühl, dass es ausgewogen war. Das liegt daran, dass alle Interviewten ja völlig freiwillig an dem Projekt teilgenommen haben, was wiederum jemanden leichter fällt, der bereits gründlich über seine Identität nachgedacht hat. Zumindest kam es mir so vor, als hätten überdurchschnittlich viele der vorgestellten Männer schon einmal in Männergruppen über ihr Mannsein nachgedacht oder waren in der Tandra-Szene aktiv. Gerne hätte ich den Männern (und Frauen) in meiner Umgebung genau die gleichen Fragen gestellt, um die Erfahrungen weiter einzuordnen. Bei dem Versuch bin ich allerdings vorerst abgeblitzt – und ich fürchte, dass viele nicht bereit sein würden, so viel von sich Preis zu geben und sich so intensiv mit sich selbst zu beschäftigten wie die von Bartels Interviewten. Für so viel Mut gebührt ihnen Anerkennung.
Trotzdem ist es mir nicht immer leicht gefallen, mich auf die interviewten Männer einzulassen. Natürlich bildet man sich ganz automatisch vorschnell eine Meinung zu einer Person. Manche Ansichten und Empfindungen konnte ich auch schlicht nicht teilen. Das Lesen eines Interviews hat mich dann dem Interviewten näher gebracht, ich hab ihn neu gesehen und zumindest verstehen gelernt – als Mensch gesehen. Eilert Bartels Buch lehrt uns, auch im Alltag genauer hinzuschauen, nachzufragen, den Menschen hinter der gesellschaftlichen Fassade zu sehen – kurz gesagt, mehr Empathie zu zeigen.
Perfekt wäre das Buch für mich gewesen, wenn es Menschen beiderlei Geschlechts vorgestellt hätte. Dann wäre überdeutlich geworden, wie ähnlich wir uns alle sind in unserem Denken, unseren Ängsten, Freuden und unseren Erfahrungen.

Eilert Bartels
huMANNoid – Männer sind Menschen
2018
336 Seiten
ISBN-13: 978-3943622386
*Für die Rezension wurde mir ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
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